Neckarzeitung vom 9. August 1920

Irgendwo.
Skizze von Richard Haldenwang

Eugen Stangen sagt einmal in einem seiner Gedichte so wunderbar schön: " Irgendwo, in der Welt weit draußen, müssen jetzt Rosen blühn" –

Und sie blühen und leuchten nun: rosarot und rot und pupurn. Und sie duften, sinnverwirrend, heiß und schwül. –

Mein Weg führt durch ein kleines Wiesental. Rings sprießen Blumen über Blumen. Und über die kleinen Heckenröschen, die am Wege glühn, wallen Goldschleier aus Sonnenstäubchen gewebt.

Ich flüchte aus dem Sonnenbrand, unter das Blätterdach eines Birnbaums.

Von drüben her grüßen kleine, wohlgepflegte Gärtchen. Und - Rosen lachen und leuchten glückverheißend in den schönen Sommertag hinein ... Daneben sprudelt ein kleiner Quell, wie flüssiges Silber ... Myriaden von Sonnenfunken sprühen darüber hin ... Über mir tanzen lichtergrüne Blätter, einen lustigen Reigen ... und aus den Wipfeln tönt rauschende Musik ...

Augen und Herz, sind trunken, ob all dieser vielstimmigen Reize, die die Stunde dieses einzig-schönen Sommertages hervorzaubert. Fröhlicher Singsang erschallt aus den Zweigen ...

Und – komm herüber, locken die dunklen Tan-nen aus weiter Ferne. –

Ich wandere weiter, immer weiter .... Stundenlang. – In unübersehbarer Weite liegt er vor mir, - der schöne große Tannenforst. –

Märchenwald!

Und – ich trete ein, wie in ein Heiligtum. Nur ein Raunen und Rauschen über mir. Sonst Stille ringsumher. Ich schließe die Augen. Und liebliche Bilder aus längst vergangenen Tagen, steigen in mir auf. –

Aus meinen Träumen erwacht, liegt ein purpur-rotes Rosenblatt neben mir, wie ein großer Blutstropfen. Der Wind hat es von irgendwo hergeweht.

Ich wittere Rosenduft.

Da, - - mitten unter einer Gruppe blühender Tannen, entdecke ich mit einemmal ein hochgewachsenes schlankes Rosenbäumchen. Eine gar seltsame Erscheinung! Und – das Ganze mutet an, wie ein lauschiges, märchenhaftes Versteck!

Ich frage die Rosen, wer sie an diese einsame Stelle gebracht. Die aber, senken nur geheimnisvoll ihre purpurroten Köpfchen, und leuchten und duften still in die Dämmerung hinein. –

Und die Tannen daneben, flüstern leise im Abendwind ... Nur eine Nachtigall singt süß-süße Lieder ...

Aus weiter Ferne höre ich das monotone Geräusch einer Säge. Ich schreite weiter. Endlich habe ich die Stelle erreicht. Ein altes Männlein mit silberweißen Haaren steht vor mir.

Und als ich es nach dem einsamen Rosenbäumchen da drüben fragte, sieht es mich mit gutmütigen Augen zuerst lange prüfend an. Dann erzählt es mir von zweien, - die sich einst liebten. - Und die haben das Rosenbäumchen zum Gelöbnis gegenseitiger Treue an jenem verschwiegenen Plätzchen, - mitten unter die Tannen hinein, - gepflanzt. –

Der junge Künstler sei dann in die Welt hinaus ... und habe die Rose – und das Rosenbäumchen – nie mehr gefunden.

Du Rose aber ruht, - des Wartens müde geworden, - längst verblüht, drunten im stillen Friedhof.

Es ist eine alte Geschichte,

Doch bleibt sie ewig neu

Und wem sie passieret,

Dem bricht sie's Herz entzwei.

Drunten im Dorfe läuten sie den Abend ein ... Das alte Männlein schreitet, gesenkten Hauptes der Heimat zu. –

Mit aber - drängen sich immer und immer wieder die Stangen'schen Worte auf die Lippen: "Irgendwo, in der Welt weit draußen müssen die Rosen blühn!"