. AUSSEN TOP, INNEN FLOP
Hinter die Masken der Schönen, Reichen und
Berühmten geschaut

Econ-Verlag, 320 Seiten

Leseprobe

AUSSEN TOP, INNEN FLOP
Econ-Verlag, Seite 215-223

Meine Geliebte will mich domestizieren

Der avantgardistische Künstler

Es ist ein schöner Frühlingstag Anfang Mai. Die Sonne taucht meine Räume in ein angenehmes Licht. Ich liebe dieses Licht und würde deshalb niemals umziehen, obwohl das Kölner Arbeiterviertel, in dem ich meine Praxis habe, nicht repräsentativ ist. Ich erwarte einen international anerkannten Künstler, einen Maler und Skulpturmacher. Er hatte Einzelausstellungen in großen Museen und Galerien in ganz Europa und gilt als Avantgardist der bildenden Kunst. Er kommt eine Viertelstunde zu spät, entschuldigt sich dafür, scheint es aber zu genießen, dass er Termine nicht einhalten kann.

»Ich kenne Ihre Bilder und Skulpturen und freue mich, Sie nun auch persönlich kennenzulernen«, begrüße ich ihn. Er wirkt sehr selbstbewusst, energiegeladen und unkonventionell. Seine Latzhosenjeans ist weit und schlabberig. Er trägt ein Streifenhemd mit offenem Kragen, darüber eine ausladende schwarze Lederjacke. Auf den ersten Blick wirkt er weniger wie ein Ästhet, sondern eher wie ein Prolet. Sein Gesicht ist braungebrannt, die Haare sind schon leicht angegraut und kurz geschoren. Ich bin gespannt darauf, welches Problem er mit mir besprechen will. Wir setzen uns.

»Warum kommen Sie zu mir?«

»Ich war noch nie bei einem Psychologen. Das hatte ich bisher auch nicht nötig. Übrigens: Es gefallt mir hier - der Raum und das Licht, es ist eine schöne Ausstrahlung. Kann ich einen Kaffee haben? Kann ich rauchen?«
Er kann. Ich zeige ihm den Aschenbecher, und einen Kaffee bekommt er auch.

»Ich bin Künstler, das wissen Sie ja schon. Ich komme nicht, weil ich eine Krise in meiner Kunst habe. Ich weiß, was ich will, und ich mache das auch. Ich habe mich durchgebissen, ich habe meine Bilder und meine Skulpturen auch gelebt. Ich bin Avantgardist, also ein Rebell und ein Revolutionär. Ich lebe ein ungewöhnliches Leben, das den Normen der Gesellschaft nicht entspricht. Ich zerschlage alle Normen, alle Regeln und gehe meinen eigenen Weg.

Es war nicht leicht, Anerkennung im Kunstbetrieb zu bekommen. Ich habe diese Anerkennung jetzt; es geht mir finanziell gut. Das ist angenehm und schön. Ich brauche den Erfolg, das ist klar. Ich bin kein Ästhet, ich bin ein Zerstörer der bekannten Schönheitsterrorvisionen. Ich bin kein Politiker und kein Prophet. Ich habe keinen sozialen Anspruch. Ich mache das, was ich für optisch interessant halte. Ich bin kreativ, das ist klar. Ich kann mich darstellen, das ist auch klar. Ich habe keine Ängste wie viele meiner Kollegen. Ich weiß, was ich will. Ich gehe also meinen Weg.«
»Warum kommen Sie heute zu mir? Was wollen Sie von mir erfahren, was Sie von keinem anderen erfahren können? Warum kommen Sie ausgerechnet zu mir?« frage ich.

»Ich will versuchen, das zu formulieren. Das ist allerdings sehr schwer. Es fällt mir jedenfalls nicht leicht.

Ich bin ein Zerstörer, ich zerstöre alle Formen und alle Normen. Mein ganzes Leben lang habe ich die Normen der Gesellschaft und der Ästhetik zerstört. Ich bin destruktiv, sagen die Bürger und natürlich auch die Politiker und auch die Unternehmer. Ich lebe allerdings von dieser Destruktivität. Die Leute kaufen meine Werke. Sie finden das interessant, aber sie mögen mich nicht als Person.

Ich bin destruktiv. Ich weiß nicht mehr, wo ich stehe. Meine Destruktivität wird gekauft, Sie wissen das sicher, pro Bild oder Skulptur für mindestens hunderttausend Mark. Nun gut, das ist ziemlich viel Geld, aber meine Galerie nimmt für jeden Deal fünfzig Prozent. Das ist normal. Aber das ist nicht mein Problem.

Ich habe eine Lebenskrise. Ich werde kopiert in der Werbung, nein, nicht kopiert, ich werde adaptiert. Ich bin »en vogue«, wie man sagt. Ich bin selbstbewusst nach außen, ich kann auftreten, ich bin vermarktbar. Das ist alles schön und gut. Es geht mir gut. Es geht mir besser als Ihnen. Darf ich du sagen? Es geht mir besser als dir? Ich hoffe, dass das nicht jetzt für dich ein Problem wird.«

»Sage du zu mir.«

»Gut, das gefällt mir, dass dich das nicht stört. Das ist nämlich dieser ganze gesellschaftliche Scheiß, diese Regeln, diese Normen. Jetzt, wo ich dich duzen kann, fällt es mir leichter, darüber zu reden. Es ist alles so verlogen. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Das macht mich ganz krank. Ich finde nicht mehr die Sprache dafür, auch nicht mehr in meinen Bildern.

Es ist eine Schrecklichkeit über mich hereingebrochen. Bin ich ein Psychopath? Ich weiß es nicht. Bin ich krank, oder bin ich Künstler? Ich weiß es nicht mehr. Weißt du es, kannst du mir das sagen? Wenn ich krank bin, dann wäre auch meine Kunst krankhaft. Aber ich will keine krankhafte Kunst abliefern.«

»Wir wollen diese Fragen nun gemeinsam untersuchen. Deine Kunst ist deine Kunst, ich betone, deine, und das ist dein legitimes Recht. Schaffe deine Werke, stelle sie aus, sie sind deine Reaktionen auf die Welt. Das ist in Ordnung so.

Ich denke, du bist heute hierher gekommen, um etwas ganz anderes zu erfahren. Was willst du von mir wissen? Was soll ich dir sagen oder raten? Was erwartest du von diesem Gespräch?«

»Ich will ganz offen und ehrlich sein. Ich erwarte mir einen Kick für mich, mein Leben und meine Arbeit. Ich bin trotz meines Erfolges nicht glücklich. Es fehlt mir etwas, aber ich weiß nicht, was.

Vielleicht hat es auch etwas mit mir als Mann zu tun, mit mir als Mann und meinen Beziehungen zu Frauen.«

»Ich war zweimal verheiratet und bin zweimal geschieden. Das wäre eine ganz besondere Story. Ich hätte einen Poeten neben meinen Ehen brauchen können. Er hätte das alles aufgeschrieben; es wäre ein Roman geworden, den du verfilmen könntest. Dieser Film wäre ein Welterfolg - ich sage dir, es war alles unglaublich und viel dramatischer, als du es je im Kino gesehen hast.«

»Wie ist deine derzeitige partnerschaftliche Situation?«

»Ich lebe mit einer Frau zusammen, die mich liebt. Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Ich werde immer geliebt, aber nie verstanden.«

»Hast du dich selbst verstanden?«

»Ich habe mich immer verstanden mit mir selbst, aber alle anderen haben mich nicht verstanden. Nicht verstanden zu werden ist ein Markenzeichen des Avantgardisten. Wenn du von allen verstanden würdest, dann wärst du kein Avantgardist, kein kreativer Innovativer mehr, dann wärst du ein jedermann, und der ist uninteressant. Die Frauen liebten mich als Outsider. Ich liebte sie, weil sie mich liebten. Das ist doch normal, oder? Wenn dich jemand liebt, weil du so bist, wie du bist, warum solltest du ihn deshalb wegschicken? Ich habe die Frauen geliebt, die mich liebten, weil ich anders war als die Männer, die sie bisher geliebt hatten. Ich bin ein Avantgardist, also gehe ich neue Wege. Ich kann nicht erwarten, dass mich jemand schätzt, der das nicht versteht. Ich bin sexuell sehr triebhaft und den Frauen zugewandt. Es gab immer genug Frauen, die mich gerade deshalb so liebten, weil ich so war - und so bin -, wie ich bin. Ich war nie einsam und hatte nie Probleme mit Frauen. Aber jetzt doch. Und deshalb bin ich heute hier. Ich liebe eine Frau aus »der Gesellschaft«, wie man so sagt, und diese Frau liebt mich auch, aber diese Liebe ist voller Spannung, denn sie will mich integrieren und einfügen in die Gesellschaft. Sie will mich haben. Ich liebe sie auch und will sie auch haben - für mich. Aber sie will mich für sich, und das ist eine andere Welt. Ich will sie haben für meine Welt, und sie will mich haben für ihre Welt. Sie will nicht in meine Welt und ich nicht in ihre. Also stagniert derzeit alles beim Sex. Die Sexualität gehört uns. Diese Ebene kann uns keiner wegnehmen. Aber das ist ja nun nicht alles. Ich lebe meine Kunst, und sie lebt ihre Realisierung ihrer Person - sie ist die Tochter eines Unternehmers, und ich bin der Vertreter meiner Kunst. Jetzt bin ich endlich bei dem Punkt, warum ich heute hier bin. Sage mir: Wie kann ich sie lieben und ich selbst bleiben, und wie kann sie mich lieben, ohne ihre Normen aufgeben zu müssen? Wie kann unsere Liebe über diese Klippe springen?«

»Das sind viele Fragen. Es begegnen sich in eurer Partnerschaftsbeziehung zwei Welten: Deine Welt besteht darin, als Künstler mit Traditionen zu brechen und neue Wege zu gehen. Das meint der Begriff der Destruktion. Deine Partnerin aber lebt in der Welt der Konventionen, der traditionellen Werte, gesellschaftlich gesehen. Die Liebe und die damit verbundene Sexualität kann diese verschiedenen Wertvorstellungen ausgleichen. Die Liebe kann die Grenzen zwischen Religionen, gesellschaftlichem Status, der Zugehörigkeit zu einer anderen Rasse und Bildungsunterschiede überwinden. Hier gilt: Verschiedenartigkeit kann sich anziehen. Die Liebe entwickelt sich über die Sensitivität und wird zur erotischen Anziehung. Deshalb sagst du, die Sexualität gehört uns. Auf dieser Ebene findet ihr zueinander.

Sobald man aber, davon ausgehend, eine Beziehung aufbauen will, beginnen die Probleme. Du fragst: Wie kann ich sie lieben und ich selbst bleiben, und wie kann sie mich lieben, ohne ihre Normen aufgeben zu müssen? Diese Frage ist sehr einfühlsam formuliert. Du fragst zuerst, wie du sie weiter lieben und dabei du selbst bleiben kannst. Du möchtest sie weiterhin lieben, ohne dass sie ihre Normen und Werte aufgeben muss. Das ist das Grundproblem jeder Beziehung. jeder möchte bleiben, wie er ist, und das ist auch richtig so. Wenn man sich liebt, geht man achtsam und behutsam miteinander um; man möchte den anderen so lassen, wie er ist. Das ist eine sehr reife Einstellung, die viele Menschen nicht haben. Deshalb scheitern sie genau an diesem Punkt, wenn Liebesbeziehungen in eine feste gemeinsame Beziehung einmünden. Man versucht, den anderen auf vielen Gebieten zu manipulieren: Sieh die Dinge, wie ich sie sehe! Übernimm meine Normen! So läuft das üblicherweise. Man beginnt zu kritisieren, zu erziehen, um zu manipulieren.

Du hast dagegen gesagt, du möchtest bleiben, wie du bist, und willst ihr im Gegenzug auch ihre gesellschaftliche Meinung lassen.«

»Ich spüre aber, dass sie das nicht will. Sie möchte mich beeinflussen, ja irgendwie erziehen. Sie möchte mich zivilisieren und kultivieren. Ich sage immer zu ihr: »Ich bin als Künstler ein Vertreter der Kultur. Was ich mache, wird eines Tages zur Tradition werden. Noch ist es die avantgardistische Moderne, in zwanzig Jahren wird es zur klassischen Moderne und in hundert Jahren zur Klassik. Da hast du dann deine traditionelle Kultur.«

»Deine Partnerin hat aber einen anderen Kulturbegriff, und das kann man verstehen. Sie ist in einem Unternehmerhaushalt groß geworden. Und hier zählen Tradition und materielle Werte.«

»Es ist eine alte Unternehmerfamilie, die zu den führenden der Stadt gehört. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg war das so. Es macht mich ziemlich ungeduldig und nervös, wenn sie darüber spricht. Sie sagt, dass ihre Familie ein Elitebewusstsein hätte und dass man in ihre Kreise nur schwer hineinkomme. Es wäre in dieser Elite klar, wer dazugehöre und wer nicht, schon der Urgroßvater hätte dazugehört. Sie legt großen Wert auf Etikette und gutes Benehmen. Ich war natürlich bei ihrer Familie schon mal zu Besuch, aber ich fühle mich da nie wohl, es schnürt mir irgendwie den Hals zu. Ich fühle mich unwohl und unfrei. Ich freue mich natürlich darüber, dass an den Wänden Originale von Paul Klee, Picasso und Kandinsky hängen, aber ich habe den Eindruck, dass ihnen das gar nichts bedeutet, außer dem Nimbus der Berühmtheit. Für diese Leute hat ein solches Bild eine ganz andere Bedeutung als für mich. Sie umgeben sich mit Kunst wegen der Signatur, sie haben keine Ahnung von Kultur. Sie bilden sich viel mehr ein auf ihre Esskultur und auf ihre Bildung. Wer keine zwei Fremdsprachen spricht und die großen Hotels auf der Welt nicht kennt, den belächeln sie.

Ich möchte meine Freundin aus ihrer Welt herausreißen. Sie studiert Jura und steht kurz vor dem Examen. Eigentlich wundere ich mich darüber, dass sie sich überhaupt mit mir eingelassen hat. Ihr Vater möchte, dass sie einen Mann aus der Wirtschaft heiratet, einen Vorstand in einem großen Unternehmen. Ich spüre, dass man mich belächelt und unsere Beziehung als eine vorübergehende Laune der Tochter betrachtet. Aber weil ich schon einen Namen habe und nicht gerade arm bin, drückt man ein Auge zu.«

»Redet ihr über diese Situation?«

»Ja, wir reden offen darüber. Sie möchte mich in ihre Welt hineinziehen und versucht mich davon zu überzeugen, dass das das Gelbe vom Ei wäre. Sie möchte mich fördern und mich von den Werten ihrer Tradition überzeugen.«

»Tradition in Bezug auf was? Kunst, Lebensweise oder Denkhaltung?«

»Künstlerisch lässt sie mir jede Freiheit. So offen ist sie, das hat sie begriffen, dass Kunst neue Wege geht und Traditionen hinter sich lassen muss. Lebensweise und Denkweise gehen bei ihr Hand in Hand. Sie möchte, dass ich ihre Denkweise übernehme. Sie sagt, ich könnte viel von ihr lernen.«

»Lernen in welcher Art? Sollst du etwas kennenlernen und dich informieren, oder sollst du dich anpassen und integrieren?«

»Ich soll mich einfügen, ich soll akzeptieren und übernehmen. Ich soll damit umgehen lernen.«

»Wenn sie es nur spielerisch meint, dass du das kennenlernen sollst, dass du es erfährst, dann ist es in Ordnung. Oder sollst du dich ändern und anpassen?«

»Ich soll damit umgehen können, aber nicht mich anpassen im Sinne von Unterwerfung.«

»Dann ist es in Ordnung, wenn du das nur spielerisch kennenlernen sollst, damit du informiert bist, denn sie will dich ja nicht erziehen.«

»Erziehen will sie mich nicht. Ich glaube, es ist ein Experiment, um sich dadurch selbst zu erfahren. Die Diskussionen mit mir sind ihr sehr wichtig.«

»Dann sehe ich kein Problem. Sie möchte dir ihre Welt zeigen, aber will dich nicht missionieren. Und du zeigst ihr deine Welt und willst sie dadurch nicht unter Druck setzen und überzeugen. Dann diskutiert ihr, dann teilt ihr euch etwas mit, wovon jeder profitiert. Du gibst ihr Einblicke in deine Welt, und sie gibt dir Einblicke in ihre Welt. Keiner will den anderen manipulieren, sondern nur etwas aufzeigen.

Wenn es so abläuft, dann werden keine Spannungen entstehen, es wird kein Einfluss genommen und damit keine Gewalt ausgeübt. Eine solche Verbindung kann sehr fruchtbar werden, denn jeder gibt dem anderen etwas. So kann Liebe aufblühen.

Ich hoffe, dass ihr euch eure Verschiedenheit in dieser Freiheit weiterhin geben könnt. Dann findet wirklich ein Austausch statt. Wenn keiner den anderen überzeugen, erziehen oder manipulieren will, nimmt die Liebe keinen Schaden. Erst wenn sich der leiseste Schatten von Manipulation und Rechthaberei einschleicht, gibt es diese Freiheit des Lernens - im Sinne von Kennenlernen - nicht mehr, denn dann wird gekämpft. Dann entsteht auch Angst, denn es geht um Sieg oder Niederlage. In einer Diskussion kann man heftig miteinander über ein Thema streiten, spielerisch kämpfen - so, wie junge Hunde sich balgen. Das ist Lernen. Sobald du aber Angst fühlst, kommt etwas anderes ins Spiel. Dann geht es um Sein oder Nichtsein, dann kämpfst du um dein Recht. Dann kann zwischen Mann und Frau zwar noch Sex stattfinden, aber die Zartheit der Liebe verwelkt. Die Liebe ist letztlich entscheidend, sie hält euch offen. Ihr liebt euch, und das gilt es zu bewahren.«

»Und wie bewahrt man das?«

»Indem man offen miteinander Körper, Seele, Geist, gesellschaftliche Position, Ereignisse und Situation teilt. Indem ihr euch mitteilt, seid ihr füreinander anziehend. Wenn ihr nicht mehr mitteilt, sondern recht haben wollt, verurteilt, angreift, auf- oder abwertet, nicht mehr diskutiert, nicht mehr spielerisch damit umgeht, sondern den anderen fixieren wollt auf eure Position, seid ihr verloren. Die Liebe zieht sich zurück, und es breitet sich der Beziehungskampf zweier egoistischer Einzelwesen aus.