Lassen Sie sich nichts gefallen
Die Kunst, sich durchzusetzen

Econ-Verlag, 304 Seiten,
auch als Jubiläumsausgabe
 

Leseprobe

Lassen Sie sich nichts gefallen
Econ-Verlag, Seite 59-64

Intelligenzkult auf Kosten emotionaler Verödung

Die Intelligenz (kognitiver Persönlichkeitsbereich), wird von unserer technischen Zivilisation überbetont und die Emotionalität vernachlässigt. Die Überbetonung der Intellektualität führt zur Kopflastigkeit des Menschen. Ist sie mit Konkurenzstreben gekoppelt, wird das Verhalten eiskalt, knallhart, distanziert und unterkühlt. Die Emotionalität wird im Vergleich zum Intellekt abgewertet. Der Intellektuelle, der sein Verhalten rational "im Griff hat", gilt als Ideal, während der Emotionale, der seine Gefühle offen zeigt, als unbeherrschter Gefühlsmensch abqualifiziert wird. Gefühle sind in einer technischen Zivilisation, die so stolz auf ihre Intelligenz ist, nicht gesellschaftsfähig, sie sollen möglichst beherrscht und verborgen werden. Diese Abwertung der Gefühle als Gefühlsduselei, Sentimentalität oder Schwäche sind ein Zeichen der Angst vor spontaner Lebendigkeit

Folgen der Überbetonung oder Vernachlässigung von Gefühlsbereichen

Persönlich-
keitsbereich

einseitige
Überbetonung
einseitige
Vernachlässigung
kognitiv
"Kopflastigkeit" - "Intellektualisierer"-
"praxisferner Theoretiker"-
"hat sich schon mal jemand
totreflektiert" - "Hirnling" -
"kalter Rechner" - "kein
Mensch, sondern Computer"


"Dummheit"- "Engstirnigkeit" -
"den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen" - "zu enger Horizont" - "Vereinfacher" - "verkürzter Blickwinkel"
emotional
"Gefühlsduselei" -
"Affektrausch" - "ausgeflippt"
-"regressives Verhalten" -
"Wahrnehmungsver-
zerrungen"- "blind vor Wut"
- "sentimental"


"gefühlstot" - "eiskalt" - "herzlos" - "distanziert" - "unecht" - "fassadenhaft" - "innerlich hohl" - "apathisch" - " kalter Fisch"
aktional
"Blinder Aktionismus" -
"technokratischer Macher" -
"Zack-zack, nicht lange
gefackelt" - "erst handeln,
dann denken"

"Verhaltensdefizite"- "wie der Ochs vorm Berg" -Praxisferne"- "Nicht zu Potte kommen" - "Handlungsunfähigkeit" - "zwei linke Hände haben"


Die Trennung von Verstand und Gefühl forderte als erster der französische Aufklärungsphilosoph René Descartes (1596-1650). Er war negativ beeindruckt von den sadistischen Gefühlen und Aggressionen der Richter bei Hexenprozessen und forderte deshalb die Ausschaltung von Emotionen bei Gerichtsverfahren. Später postulierte er dann, daß in allen Lebensbereichen Gefühle möglichst ausgeschlossen werden sollten. Descartes hatte einen großen Einfluß auf die rationale Ausrichtung der Schulen und Universitäten.

Die Überbetonung der Rationalität vor der Emotionalität ist bis heute im Bewußtsein unserer Ausbildungssysteme geblieben. Emotionen werden im Vergleich zum Intellekt nicht nur vernachlässigt, sondern verdrängt. Ein ehrgeiziger Student im siebten Semester, der sich von mir wegen Lernstörungen beraten ließ, klagte: "Emotionen sind hinderlich. Am liebsten wäre mir, wenn der Mensch überhaupt keine Emotionen hätte, sie stören doch nur, wenn man seinen Verstand entwickeln will, sie hindern mich an der optimalen Entfaltung meiner Intelligenz. Wenn ich keine Emotionen hätte, würden Angstzustände und Depressionen wegfallen." Der Student beobachtete richtig, daß Angstzustände und Depressionen für die Intelligenzentwicklung hinderlich sind, aber seine Schlußfolgerung ist falsch.

Vor allem Kinder aus der Unterschicht haben mit diesem Problem zu kämpfen, denn die bringen nicht die erforderliche psychische Ausgeglichenheit mit und fallen deshalb in ihren Intelligenzleistungen ab. Ihre störenden psychischen und emotionalen Störungen sind schichtspezifisch bedingt. Nicht die Emotionen sollten daher abgeschafft werden, sondern die sozialen Verhältnisse, die emotionale Konflikte und psychische Schwierigkeiten erzeugen.

Der Umgang mit Emotionen wie Angst, Wut, Schuldgefühle, Freude und Lust wird in unserer modernen Industriegesellschaft nicht gelernt. Die Intelligenz wird einseitig gefördert, die Emotionalität wird dagegen jedem selbst überlassen. Der Umgang mit Emotionen und ihre Befreiung müßte in der Schule, genauso wie Mathematik und Physik, ein Unterrichtsfach sein. Statt dessen werden Emotionen als lästig empfunden und abgewertet, sie stehen im Geruch der Gefühlsduselei, man kann nichts mir ihnen anfangen - sie werden deshalb im bisherigen Schul - und Bildungssystem verdrängt. Diese Verdrängung führt zu dem beschriebenen Prozeß der Abwehrmechanismen und Lügen. Wer seine Gefühle nicht zeigen kann und möchte, ist gezwungen, sie zu unterdrücken und zu verbergen. Er kommt zu dem falschen Schluß des Studenten: "Am liebsten wäre mir, wenn der Mensch überhaupt keine Emotionen hätte."

Ohne Emotionen wäre der Mensch jedoch ein Computer, ein seelenloses Monster. Es ist sehr bedenklich, wenn der Computer wegen seiner Emotionslosigkeit als Ideal gilt und überbewertet wird. Eine Einstellungsentwicklung in dieser Richtung zeichnet sich ab, immer mehr Menschen sind in ihrem Kontaktverhalten emotional verödet, tragen eine Maske und stehen ihren Emotionen fremd und beziehungslos gegenüber.